Warum haben wir Weisheitszähne und wann müssen sie raus?
Bei den meisten Menschen sind die Weisheitszähne lange kein Thema. Spätestens, wenn die ersten Schmerzen auftreten und der Zahnarzt zur operativen Entfernung rät, werden die Beißer aber interessant. Je näher der OP-Termin rückt, desto eher beginnen die philosophischen Gedankenspiele, warum wir diese überflüssigen Dinger überhaupt haben. Dieser Frage wollen wir heute im wahrsten Sinne des Wortes auf den Zahn fühlen.
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Mutanten im Mund – Der eine hat sie, der andere nicht
Ein Großteil aller Erwachsenen hat die eine oder andere Anekdote zum Thema Weisheitszähne parat. Grade bei den Älteren ist der Anteil besonders hoch. Denn anders als heute hat man den sogenannten „Achter“ in früheren Jahrzehnten noch viel häufiger gezogen. Im Hinblick auf die aktuelle Lebensrealität sind Weisheitszähne echte Mutanten im Mundraum.
Kaum ein Kiefer hat genügend Platz für die zusätzlichen Backenzähne. Und darüber hinaus zeigen sich die Beißer in der Regel erst in deutlich fortgeschrittenem Alter. Während das Gebiss bei Jugendlichen eigentlich bereits „vollständig“ ausgeprägt ist, brechen die Weisheitszähne allerfrühestens mit dem 16. Lebensjahr durch. Häufiger geschieht dies aber auch erst in den späten 20ern oder gar den 30ern und 40ern.
Mittlerweile ist es wissenschaftlich erwiesen, dass die zusätzlichen Kauwerkzeuge auch in hohem Alter noch durchbrechen können. Aufgrund dieser „Verspätung“ tragen sie auch den Namen Weisheitszähne. Bei anderen Menschen dagegen brechen Sie nie durch. Warum der Durchbruch im Vergleich zu den anderen Molaren so spät erfolgt und häufig viele Jahre dauert, ist allerdings noch ein Rätsel.
In Europa haben rund 80 Prozent aller Menschen eine Veranlagung für die Entwicklung von mindestens einem Weisheitszahn. Sie können also auch einzeln im Ober- oder Unterkiefer oder sogar als einzelnes Exemplar auftreten.
Schon gewusst?
Sogar der beste Freund des Menschen, der Hund, hat Weisheitszähne. Dabei handelt es sich um den dritten Backenzahn, der bei Hunden relativ klein ausfällt. Allerdings tragen auch Vierbeiner nicht alle die Anlage für Weisheitszähne in sich. Vermutlich haben die Weisheitszähne auch bei Hunden im Laufe der Evolution ihre ursprüngliche Funktion verloren.
Warum wir Weisheitszähne haben
Das ist eine gute Frage, denn wozu brauchen wir Zähne, die nicht in unseren Kiefer passen? Schön wäre es natürlich, wenn es sich um Ersatzbackenzähne handeln würde, die automatisch an die Stelle verlorener bzw. gezogener Molaren treten. Das ist sogar bedingt richtig – dazu aber später mehr. Da wir aber keine Haifische sind, liegt die Ursache an einer anderen Stelle. Schuld ist die Evolution.
In der Urzeit, als wir noch als Jäger und Sammler durch die Wälder und Savannen streiften, war unsere Nahrungsgrundlage eine andere. Der Mensch lebte von (oft rohem) Fleisch, Nüssen, Beeren, Wurzeln und anderer kauintensiver Rohkost. Dementsprechend groß und massiv waren die Kiefer unserer Vorfahren. Es brauchte schließlich möglichst viel Mahlfläche, um die derbe Nahrung zu zerkleinern. Spätestens mit der „Erfindung“ des Feuers und der Sesshaftwerdung änderte sich das. Die Nahrung wurde weicher.
Da massive Kiefer immer weniger gebraucht wurden, tat die Evolution, was sie immer tut: sie passt sich an. Die Kiefer wurden speziell in den letzten 10.000 Jahren immer kleiner. Gleichzeitig ist jedoch die Anlage für den zusätzlichen Backenzahn erhalten geblieben. Dieser hat bei den meisten modernen Menschen schlicht keinen Platz mehr. Dass die Evolution aber auch an dieser Problematik feilt, zeigt die Tatsache, dass die Weisheitszähne schon bei 20 Prozent aller Europäer nicht mehr veranlagt sind, bei vielen Menschen deutlich kleiner ausfallen oder gar nicht mehr durchbrechen.
Gut zu wissen
Während Weisheitszähne in Ländern mit langer Ackerbau- und Viehzuchtkultur (Mittlerer Osten, Europa, amerikanischer Doppelkontinent) deutlich auf dem Rückzug sind, ist das nicht überall so. In Kulturen, die sich noch relativ „natürlich“ ernähren oder die moderne Lebensweise noch nicht so lange angenommen haben, wachsen Weisheitszähne sehr häufig normal heraus.
Der Grund: Die Kiefer sind oftmals deutlich größer und massiver. Solche Beobachtungen konnten Wissenschaftler insbesondere in Afrika und Teilen Asiens machen.
Drin lassen oder raus? – Das ist hier die Frage
Früher galt bei den meisten Menschen und auch bei Zahnärzten die Devise: „Weisheitszähne sind überflüssig, verursachen mit hoher Wahrscheinlichkeit nur Probleme und müssen deshalb raus!“ Gerne wurden die Weisheitszähne auch rein prophylaktisch herausoperiert. Das hat sich heutzutage geändert. Bestehen keine Probleme durch herauswachsende Weisheitszähne oder zeigen sich lediglich minimale Schönheitsfehler, bleiben die zusätzlichen Beißer in der Regel drin. Und das ist auch gut so, denn jeder Eingriff birgt potenzielle Gesundheitsrisiken.
Wann müssen die Weisheitszähne raus?
Weisheitszähne müssen dann weichen, wenn sie Probleme verursachen oder dies in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit tun werden. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn die Zähne schräg im Kiefer liegen. Beim Herauswachsen würden sie so gegen die Zahnwurzel des benachbarten Backenzahns („Siebener“) drücken. Das verursacht nicht nur Schmerzen, sondern kann den Zahn irreparabel beschädigen. Das Gleiche gilt, wenn ein Weisheitszahn keinen Platz zum Herauswachsen hat und so die vor ihm liegenden Zähne schädigt.
Ein weiterer Grund kann das unvollständige Herauswachsen sein, wenn sich eine teilweise geöffnete Schleimhautkappe gebildet hat. Unter dieser können sich Speisereste sammeln und dort schwere (oft chronische) Entzündungen hervorrufen. Da sich die dauerhafte Entzündung im Körper ausbreiten kann, ist die Entfernung hier medizinisch sinnvoll. Auch starke Karies ist ein möglicher Grund für die Entfernung. Immerhin lassen sich die weit hinten im Mundraum gelegenen Weisheitszähne schlecht mit der Zahnbürste reinigen.
Müssen gleich alle Weisheitszähne raus?
Früher hat man sich gern nach dem Motto „wir ziehen gleich alle vier, dann haben Sie es hinter sich“ für den Kahlschlag entschieden. Heute sind Zahnärzte deutlich selektiver. Meist werden nur die Weisheitszähne entfernt, die Probleme machen.
Wachsen die Beißer im Oberkiefer weitgehend problemlos können sie drin bleiben – auch wenn die Weisheitszähne im Unterkiefer wegen eines Schiefstands weichen müssen. In manchen Fällen ist es aus zahnmedizinischer Sicht aber auch sinnvoller den „Siebener“ zu ziehen. Dann zieht der Zahnarzt den Weisheitszahn nach vorne und schließt damit die Lücke zum „Sechser“.
Alternativ ist es auch möglich, dass der Weisheitszahn als Verankerungspunkt für eine angepasste Brücke zwischen ihm und dem „Sechser“ dient. So kann der Weisheitszahn natürlich wachsen und gleichzeitig bekommen Patienten einen passenden „Zwischenzahn“. Ob die Weisheitszähne potenziell Probleme verursachen oder überhaupt im Kiefer veranlagt sind, lässt sich beim Zahnarzt mit Hilfe einer Röntgenaufnahme herausfinden.