Wundliegen
– Ursachen, Maßnahmen und Vorbeugung
Als Fußball-Experte und Ex-Nationalspieler Mehmet Scholl den ehemaligen Nationalstürmer Mario Gomez bei der Europameisterschaft 2012 des „Wundliegens“ bezichtigte, meinte er dessen „passiven“ Spielstil. Tatsächlich war aber genau das der Moment, in dem der Begriff zum ersten Mal wirklich einem breiten Publikum offenbart wurde – freilich in einem völlig anderen Kontext.
Was auf dem Fußballplatz vielleicht zu einem verlorenen Spiel führt, ist in der Pflege ein riesiges Problem. Beim Wundliegen handelt es sich nämlich um ein Phänomen, das sogar zu Knochenentzündungen führen kann. Aber was genau ist ein sogenannter Dekubitus? Welche Symptome treten auf? Wann muss ich zum Arzt? Und wie läuft die Prophylaxe ab? Wir haben die Antworten auf die wichtigsten Fragen.
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Dekubitus: Was bedeutet Wundliegen überhaupt?
Das Phänomen, das wir ursprünglich unter dem Namen „Wundliegen“ kennen, heißt im medizinischen Jargon „Dekubitus“. Der Begriff leitet sich dabei vom lateinischen Wort „decubare“ ab, was so viel wie liegen bedeutet. Als Dekubitus bezeichnen Mediziner eine Überbeanspruchung des Gewebes.
Diese entsteht in der Regel durch langanhaltenden und kontinuierlichen Druck, der auf eine Hautstelle ausgeübt wird. In der Folge kommt es sowohl zu Schädigungen der Haut als auch zu Schäden am darunter liegenden Gewebe, die sich bis auf die Knochen auswirken können. Am häufigsten betroffen sind Bereiche mit wenig Binde-, Muskel- und Fettgewebe, unter denen sich Knochen- bzw. Knochenvorsprünge befinden.
Durch die Dauerbelastung entstehen Druckschädigungen, da die Haut während der Belastung nicht mehr in ausreichender Weise durchblutet wird. Betroffen sind in erster Linie bettlägerige Menschen, die sich selbst nicht adäquat mobilisieren können.
Somit tritt die Problematik in der Regel bei pflegebedürftigen Menschen auf. Aber auch Personen, die extrem viel sitzen, können durchaus zumindest leichte Druckgeschwüre entwickeln. Abhängig vom Schweregrad des Druckgeschwürs teilt man das Fortschreiten des Dekubitus in vier Stadien ein.
Verlauf: Dekubitus Grad 1 bis Grad 4
Beim Dekubitus handelt es sich um einen fortschreitenden Prozess. Wird ein akuter Dekubitus nicht gleich erkannt und behandelt, schreitet er Stück für Stück fort. Daraus entwickelt sich mit der Zeit eine chronische Wunde, was mehrere Wochen bis Monate dauert.
- Stadium I: Bei einem Dekubitus des ersten Grades stellen sich vor allem Hautrötungen ein, die sich nicht wegdrücken lassen. Darüber hinaus kann es zu Verhärtungen, zur Bildung von Ödemen sowie einer lokalen Überwärmung kommen. Bleibt dieses Stadium unbehandelt, lagert sich durch die Dauerbelastung Flüssigkeit in Blasen an.
- Stadium II: Während die Haut bei einem erstgradigen Dekubitus noch intakt ist, kommt es bereits im zweiten Stadium zu Schädigungen der Haut. In der Regel handelt es sich um Blasen, flache Geschwüre oder Abschürfungen. Bei diesen oberflächlichen Geschwüren sind die Dermis und die Epidermis geschädigt.
- Stadium III: Im dritten Dekubitus-Stadium sind bereits alle Hautschichten von einer Schädigung betroffen. Dabei betrifft das Druckgeschwür den Bereich bis zur Muskulatur. Das Ergebnis ist ein offenes, tiefes Geschwür, das häufig mit abgestorbenem Gewebe und der Bildung schwarzer Beläge daherkommt.
- Stadium IV: In der letzten Phase frisst sich der Dekubitus durch den Dauerdruck noch tiefer in das Gewebe hinein. In der Regel erreichen die tiefen Wunden sogar Gelenke, Sehnen und Knochen. Dementsprechend stark geschädigt ist das betroffene Gewebe.
Symptome: Daran erkennen Sie Druckgeschwüre
Das Hauptsymptom für das Wundliegen ist das Druckgeschwür selbst, dessen Ausprägung angefangen von der einfachen Rötung bis hin zum tiefen Geschwür mit offenliegenden Sehnen reicht. Dabei können Sehnen, Muskeln aber auch Knochen unwiderruflich geschädigt werden.
Insbesondere beim Befall des Knochens oder Knochenmarks kann es zu schweren Infektionen und sogar einer potenziell tödlichen Blutvergiftung (Sepsis) kommen. In einigen Fällen kann sich das Druckgeschwulst über viele Jahre hinweg zu einem sogenannten Plattenepithelkarzinom auswachsen. Dabei handelt es sich um eine bösartige Krebserkrankung der Haut.
Unabhängig vom Stadium leiden die Betroffenen in der Regel auch an Juckreiz oder Schmerzen. Schmerz als Symptom muss aber nicht zwangsweise auftreten. Gerade langjährig Pflegebedürftige bekommen nicht selten starke Schmerzmittel, sodass sie die Wunden zumindest anhand von Schmerzen nicht bemerken.
Wo der Dekubitus am häufigsten auftritt
Körperbereiche, die über wenig Gewebe verfügen und wenig Platz zwischen Haut und Knochen aufweisen, sind statistisch besonders häufig von Druckgeschwüren betroffen. Allem voran steht der Steiß- und Gesäßbereich. Laut aktuellen Zahlen treten dort rund 40 Prozent aller Dekubitalgeschwüre auf. Mit rund 20 Prozent folgen auf Platz zwei die Fersen. Ebenfalls häufig tritt ein Dekubitus in den folgenden Bereichen auf:
- Fußknöchel
- Beckenkamm
- Kniegelenk
- Ellenbogen
- Wirbelsäule
- Schulterblatt
- Schultergelenk
- Hinterkopf
- Ohren
Diagnose eines Dekubitus: So funktioniert es
Da es bei einem Dekubitus zu einer zum Teil nachhaltigen Schädigung des Gewebes kommt, ist eine möglichst frühe Diagnose wichtig. So lassen sich Komplikationen wie Infektionen effektiv verhindern. Grundlage der Diagnose ist eine eingehende Begutachtung des Patienten auf sichtbare Wunden und Hautrötungen.
Hinzu kommt eine Untersuchung auf Infektionszeichen wie Fieber. Diese Erstanamnese muss aber nicht zwangsläufig ein Arzt vornehmen. Auch pflegende Angehörige können mit einem einfachen Testverfahren überprüfen, ob es sich bei einer Hautrötung um ein beginnendes Wundliegen handelt.
Der Dekubitus-Fingertest
Jeder Dekubitus beginnt mit einer Rötung! Umso wichtiger ist es, dass pflegende Angehörige auftretende Rötungen mit dem sogenannten Dekubitus-Fingertest regelmäßig einer Prüfung unterziehen. Dazu drücken Sie einfach mit dem Finger auf die Rötung. Die folgende Tabelle hilft Ihnen dabei, Rückschlüsse zu ziehen:
Hautreaktion | Ergebnis |
Die Rötung lässt sich durch Druck mit dem Finger nicht beseitigen. | Hier handelt es sich um einen Dekubitus. Der Patient sollte unbedingt einem Arzt vorgestellt werden. |
Sobald der Finger wieder von der Haut abgehoben wird, bleibt für eine Zeit ein weißer Fleck zurück. | In dieser Situation besteht kein akuter Dekubitus. Dennoch liegt ein erhöhtes Risiko für das Wundliegen vor. |
Nach dem Heben des Fingers verschwindet die Rötung schnell und wird weiß. | Bei der Rötung handelt es sich um keinen Dekubitus. |
Ursachen und Risikofaktoren für Druckgeschwüre
Ausschlaggebend für die Entstehung von Druckgeschwüren ist eine dauerhafte Belastung bestimmter Hautstellen ohne Entlastung. Schon nach wenigen Stunden kann so durch das eigene Körpergewicht ein erstgradiger Dekubitus ausgelöst werden. Das passiert in der Regel jedoch ausschließlich bei bettlägerigen Menschen, die ihre Liegeposition nicht selbstständig ändern können.
Bei gesunden Menschen passiert dies selbst bei langem Liegen in der Nacht nicht. Verantwortlich dafür ist die Tatsache, dass wir uns während des Schlafs unwillentlich bewegen und dabei unsere Liegeposition ständig verändern. Das entlastet die Haut und beugt so Druckgeschwüren vor. Darüber hinaus gelten neben Druckintensität und Druckdauer diverse individuelle Faktoren als Ursachen und Risikofaktoren für das Wundliegen:
- Deutlich eingeschränkte Mobilität durch Bettlägerigkeit
- Erhöhter Druck durch Übergewicht
- Wenig Puffergewebe durch Untergewicht
- Höheres Lebensalter
- Mangelnde Hygiene
- Unzureichender Ernährungszustand
- Sich sammelnde Feuchtigkeit durch Schweiß oder Harninkontinenz7
- Falsches (in der Regel zu seltenes) Lagern eines Patienten
- Durchblutungsstörungen
- Vorheriger Schlaganfall
- Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes mellitus
- Rissige oder besonders trockene Haut
Wann sollte ich einen Arzt hinzuziehen?
Da sich selbst ein beginnender Dekubitus bei nicht fachgerechter Behandlung schnell verschlechtern kann, ist pflegenden Angehörigen eine Behandlung ohne ärztliche Begleitung nicht anzuraten. Besteht der Verdacht auf Wundliegen, sollten Sie immer einen Arzt für eine adäquate Wundbehandlung hinzuziehen. Darüber hinaus macht es ebenfalls Sinn, eine Pflegefachkraft hinzuzuziehen. Mit der Pflegekraft sollten Maßnahmen, Ausstattung und Techniken besprochen werden, durch die sich dem erneuten Entstehen von Druckgeschwüren vorbeugen lässt.
Behandlung von Druckgeschwüren
Um ein Druckgeschwür zu behandeln und die Regeneration der Hautpartie einzuleiten, muss eine Druckentlastung erfolgen. Das bedeutet in der Praxis, dass bettlägerige Personen in regelmäßigen Abständen gelagert werden müssen. In der Praxis spricht man hier von einer Umlagerung alle zwei bis drei Stunden. Gleichzeitig erfolgt eine umfassende Wundbehandlung und Infektionsbekämpfung. Zum Einsatz kommen unter anderem Wundspülungen mit Wasserstoffperoxid oder Kaliumchlorid-Lösungen.
Ist es in einem späteren Stadium bereits zum Absterben von Gewebe gekommen, wird dieses zuvor chirurgisch entfernt. Damit lässt sich auch ein Großteil der am Geschehen beteiligten Bakterien entfernen. Für den Fall, dass eine bakterielle Infektion bereits übergegriffen hat, erfolgt eine begleitende Therapie mit Antibiotika.
Prophylaxe: Druckgeschwüren effektiv vorbeugen
Ganz gleich, ob in einer professionellen Einrichtung oder bei der Pflege zuhause: Bei kaum einem Krankheitsbild ist Vorbeugung wichtiger und effektiver als beim Wundliegen. Um eine umfassende Prophylaxe betreiben zu können, schätzt man in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern regelmäßig das individuelle Dekubitus-Risiko von Patienten ab.
Das geschieht unter anderem anhand der Braden-Skala. Der dort erreichte Punktwert dient schließlich als Grundalge für individuelle Maßnahmen. Die meisten der folgenden Maßnahmen können nicht nur in Pflegeeinrichtungen, sondern auch bei der Pflege zuhause durchgeführt werden.
- Hautpflege: Eine adäquate Hautpflege senkt das Risiko für das Wundliegen enorm. Dazu gehört neben dem Waschen mit möglichst kühlem Wasser und dem Verzicht auf unnötige Waschzusätze auch die Auswahl adäquater Pflegemittel. Diese sollten an die Haut des Patienten angepasst sein. Bei trockener Haut etwa haben sich Ölzusätze als sinnvoll erwiesen.
- Richtige Ernährung: Eine möglichst ausgewogene und vitaminreiche Ernährung kann das Wundliegen zwar nicht verhindern. Dennoch lässt sich das Risiko dadurch ebenfalls senken. Wichtig ist eine Versorgung mit ausreichend Flüssigkeit sowie mit Mineralien, Vitaminen und Spurenelementen. Diese Kombination hält die Haut elastisch, vermeidet das Austrocknen und hilft bei der Wundheilung.
- Wäschewechsel: Sich stauende Feuchtigkeit ist einer der großen Risikofaktoren für den Dekubitus. Dieses Risiko betriff insbesondere Patienten, die viel und stark schwitzen. Wer die Wäsche regelmäßig austauscht, hält die betroffenen Hautstellen trocken und senkt deren Belastung. Der Wäschewechsel gilt sowohl für Kleidung als auch für Bettwäsche sowie bei Inkontinenz. Ideal bei Inkontinenz ist atmungsaktive Inkontinenzwäsche.
- Druckstellenvermeidung: Druckstellen lassen sich bereits durch einfache Maßnahmen verhindern. Nähte, Knöpfe und Reißverschlüsse von Kleidung und Bettwäsche sollten gleich so platziert werden, dass sie keinen Druck auf die besonders risikobehafteten Hautstellen ausüben.
- Umlagerung: Regelmäßiges Umlagern und Mobilisieren ist der wohl wichtigste Punkt bei der Dekubitus-Prophylaxe. Drehen Sie einen bettlägerigen Patienten alle zwei bis drei Stunden in eine andere Position.
- Einsatz von Anti-Dekubitus-Hilfsmitteln: Parallel zur Umlagerung bietet sich der Einsatz von Anti-Dekubitus-Hilfsmitteln an, die den Druck auf besonders gefährdete Hautpartien verringern. Für bettlägerige Patienten empfehlen sich spezielle Matratzen. Das Angebot reicht von Weichlagerungssystemen über Wechseldruck-Matratzen mit steuerbaren Luftkammern bis hin zu sogenannten Micro-Stimulations-Systemen (MiS).
Diese Matratzen sind dazu in der Lage, die Eigenbewegungen des Patienten mittels minimaler Bewegungen des Untergrunds zu stimulieren. Bei Rollstuhlfahrern, die ebenfalls ein erhöhtes Dekubitus-Risiko haben, bieten sich druckentlastende Anti-Dekubitus-Sitzkissen an.
Tipps für pflegende Angehörige
– Nehmen Sie sich professionelle Hilfe und lassen Sie das Dekubitus-Risiko Ihres Angehörigen bestimmen.
– Lassen Sie sich durch geschultes Fachpersonal Lagerungstechniken zeigen. Ideal sind auch spezielle Dekubitus-Prophylaxe-Kurse.
– Beantragen Sie in jedem Fall einen Pflegegrad. Somit können Sie über die Pflegekasse geeignete Dekubitus-Hilfsmittel beantragen.
– Achten Sie bei der Pflege sehr genau auf die Einhaltung von Hygienemaßnahmen, um diverse Risikofaktoren für das Wundliegen weitgehend zu minimieren.