Welche Zahnfehlstellungen gibt es?
Ein Blick in Hochglanzmagazine oder die Fernsehwerbung gaukelt uns vor, dass perfekte Zähne Normalität sind. Kein Wunder, dass ein makelloses Gebiss mittlerweile als Schönheitsideal gilt. Diese natürliche Perfektion ist aber bei Weitem keine Normalität, sondern eher die Ausnahme. Die meisten von uns haben kleine oder auch größere Zahnfehlstellungen.
Manche fallen kaum auf oder haben lediglich optische Folgen. Andere Anomalien dagegen haben teils drastische medizinische Auswirkungen. Grund genug, dass wir uns einmal näher mit den häufigsten Fehlstellungen, ihren möglichen Folgen und den Korrekturmöglichkeiten befassen.
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1. Überbiss
Der Überbiss (auch: Prognathie) ist die wohl häufigste klassische Zahnfehlstellung. Dabei steht der Oberkiefer zu weit vor. Am deutlichsten zeigt sich der Überbiss an den Schneidezähnen, wobei die oberen Schneidezähne die unteren Schneidezähne deutlich überlappen. Die Ursache für den Überbiss ist ein im Verhältnis zum Oberkiefer zu kleiner Unterkiefer bzw. ein im Verhältnis zum Unterkiefer zu großer Oberkiefer.
Während der sogenannte Überbiss im „Normalfall“ bei zwei bis drei Millimetern liegt, ist er beim Überbiss teils deutlich größer. Der Überbiss hat auch zudem einen Einfluss auf die Stellung der Frontzähne. Häufig sind die oberen Schneidezähne leicht nach außen gekippt. Dabei können die so gekippten Zähne mit der Zeit Druck auf die unteren Schneidezähne ausüben, sodass diese sich nach innen beugen.
Die Folgen des Überbisses hängen von der Ausprägung ab. Bei einer starken Ausprägung können Probleme beim Abbeißen bestehen. Möglich ist auch ein erschwerter Mundschluss. Das kann zu einem erhöhten Kariesrisiko an den oberen Schneidezähnen führen, da diese nicht optimal vom Speichel umspült werden.
2. Tiefbiss und Deckbiss
Tiefbiss und Deckbiss sind haben genetische Ursachen und treten in der Regel gemeinsam mit einem Überbiss auf. Typisch für den Tiefbiss ist, dass die oberen Frontzähne die unteren Schneidezähne beim Zusammenbeißen deutlich überragen und diese häufig ganz bedecken. Von einem sogenannten Deckbiss spricht man, wenn die oberen Schneidezähne zusätzlich nach innen gekippt sind.
In manchen Fällen ist der Deckbiss so stark, dass die oberen Schneidezähne das Zahnfleisch und die unteren Frontzähne den Gaumen berühren. Abhängig von der Ausprägung kann es sogar zu Verletzungen kommen. Durch diesen sogenannten traumatischen Gingivakontakt kann sich das Zahnfleisch mit der Zeit zurückbilden.
Auch Probleme mit dem Kiefergelenk gehören zu den möglichen Beschwerden. Starke Fehlstellungen können korrigiert werden, indem die oberen und unteren Schneidezähne mittels Spange in die korrekte Kieferposition bewegt werden. In schweren Fällen ist ein kieferchirurgischer Eingriff nötig.
3. Unterbiss
Wenn es einen Überbiss gibt, gibt es natürlich auch einen Unterbiss. Hier gilt das umgekehrte Muster. Während beim Überbiss die oberen Frontzähne die unteren Schneidezähne überlappen, sind es beim Unterbiss die unteren Schneidezähne, die hervorstehen und die oberen Frontzähne teilweise überragen. Beim Unterbiss ist der Unterkiefer im Vergleich zum Oberkiefer zu lang (Mandibuläre Prognathie) bzw. der Oberkiefer ist im Verhältnis zum Unterkiefer zu kurz (Maxilläre Retrognathie).
Gemessen wird der Unterbiss in Millimetern mit vorangestelltem Minuszeichen. Bei einem Unterbiss bis -5 mm überlappen die unteren Schneidezähne die oberen also um fünf Millimeter. Typische Folgen sind Beeinträchtigungen beim Kauen und Abbeißen, Beschwerden im Kiefergelenk sowie die Entwicklung eines übermäßig großen Kinns.
Für die Korrektur eines ausgeprägten Unterbisses ist häufig ein kieferchirurgischer Eingriff nötig. Das gilt vor allem im Erwachsenenalter. Bei Kindern kann ein frühzeitig entdeckter Unterbiss durch eine kieferorthopädische Therapie oftmals korrigiert werden. Dies geschieht zum Beispiel dadurch, dass das Wachstum des Oberkiefers gefördert und das Wachstum des Unterkiefers gehemmt wird. Umso wichtiger sind regelmäßige Kontrolltermine speziell im Jugendalter.
4. Kreuzbiss
Kiefer- und Zahnfehlstellungen betreffen nicht nur die Frontzähne. Auch die Seitenzähne können Fehlstellungen aufweisen. Im Idealfall greifen die sogenannten Grübchen und Höcker der Seiten- bzw. Backenzähne optimal ineinander. Beim Kreuzbiss, der in verschiedenen Varianten auftritt, ist das nicht der Fall. Beim Kreuzbiss stehen die Seitenzähne des Unterkiefers grundsätzlich zu weit nach außen (bukkal) bzw. die Zähne des Oberkiefers zu weit nach innen in Richtung Gaumen (palatinal).
Zahnärzte und Kieferorthopäden kennen drei Varianten des Kreuzbisses. Allen voran steht der einseitige Kreuzbiss. Hier sitzen die Zähne auf einer Kieferseite optimal aufeinander. Auf der anderen Seite ist dies nicht der Fall. Beim beidseitigen Kreuzbiss dagegen besteht die Fehlstellung auf beiden Seiten des Kiefers. Eine dritte Variante ist der Kopfbiss. Typisch für den Kopfbiss ist, dass die Höcker der Backenzähne aufeinandertreffen.
Ursächlich für den Kreuzbiss ist meist ein im Vergleich zum Unterkiefer zu schmaler Oberkiefer. Abhängig von der Ausprägung des Kreuzbisses kann es zu einer frühzeitigen Abnutzung der betroffenen Zähne, zu einer Beeinträchtigung der Kaufunktion und einer zu starken Belastung des Kiefergelenks kommen. Zudem kann dies zur Entwicklung von Sprachstörungen (Lispeln) sowie zum schiefen Wachstum der Gesichtsknochen führen.
5. Zahnengstand
Platzmangel im Kiefer ist für uns moderne Menschen ein großes Problem. Das merken wir vor allem daran, dass die Weisheitszähne häufig nicht mehr genügend Platz finden und entfernt werden müssen. Die Ursache: Unsere Kiefer sind im Verlauf der Evolution durch die bessere Verfügbarkeit von Nahrung kleiner geworden. Grundsätzlich gibt es drei Arten des Engstands:
- Primärer Zahnengstand: Bei der häufigsten Art des Zahnengstands ist der Kiefer zu klein oder zu schmal für die Zähne. Durch den Platzmangel kommt es zur Verschiebung und teilweisen Überlappung von Zähnen im Kiefer. Interessanterweise kann diese Form der Engstellung genetisch vererbt werden.
- Sekundärer Zahnengstand: Der sekundäre Zahnengstand entsteht im Kindesalter, wenn die Seitenzähne des Milchgebisses zu früh ausfallen oder gezogen werden müssen. Dadurch kann es dazu kommen, dass der erste bleibende Backenzahn nach vorne wandert. So verengt sich der Platz für die nachkommenden Zähne.
- Tertiärer Zahnengstand: Die dritte Variante entwickelt sich bei Erwachsenen Menschen häufig nach dem 20. bis 25. Lebensjahr. Der Zahnengstand tritt im Bereich der unteren Schneidezähne auf. Die Ursachen sind noch nicht restlos erforscht. Aktuell vermutet man, dass der Unterkiefer im Erwachsenenalter noch etwas weiterwächst und sich so verändert.
Der Zahnengstand kann zur Folge haben, dass sich einige Zähne nicht richtig zum Kauen nutzen lassen. Darüber hinaus erschwert der Engstand der Zähne das Reinigen der Zahnzwischenräume, was das Risiko für Parodontitis und Karies erhöht. Im Bereich der Frontzähne ist der Zahnengstand für viele Menschen auch ein ästhetisches Problem.
6. Zahnlücken
Zahnlücken sind das Pendant zum Zahnengstand. Die häufigste natürliche Ursache sind im Verhältnis zum Kiefer zu kleine Zähne. Ein weiterer möglicher Auslöser für eine charakteristische Lücke zwischen den oberen Frontzähnen ist ein zu strammes Lippenbändchen. Häufig entstehen Zahnlücken aber erst im Verlauf des Lebens durch das Ausfallen oder Ziehen von Zähnen, die noch nicht ersetzt worden sind.
Hierbei kann es dazu kommen, dass sich auch der Abstand zwischen benachbarten Zähnen leicht verändert. Zahnlücken sind im Bereich der Frontzähne meist nur eine ästhetische Unannehmlichkeit. Abstände und Lücken zwischen den Backenzähnen sind dagegen ein statisches Problem. Immerhin stabilisieren sich die Zähne gegenseitig und verteilen so den Kaudruck.
Zahnlücken zwischen den Backenzähnen können somit zur Lockerung der Zähne führen. Aus diesem Grund sollten fehlende Zähne zeitnah ersetzt werden. Um zu weit auseinander stehende Zähne zu korrigieren, kommt meist eine Zahnspange zum Einsatz. In manchen Fällen (vor allem im Bereich der Backenzähne) ist die Korrektur ausschließlich durch einen kieferorthopädischen Eingriff möglich.
7. Überanlage & Nichtanlage von Zähnen
Nachdem wir die häufigsten Zahnfehlstellungen abgehandelt haben, möchten wir uns nun einigen Exoten zuwenden. Den Anfang macht die Nichtanlage von Zähnen. Von der Nichtanlage spricht man, wenn einer oder mehrere Zähne genetisch nicht angelegt sind. In einem solchen Fall wachsen aus dem Kiefer nicht die üblichen 32 Zähne, sondern etwa nur 31 oder 30. Häufig wird die Nichtanlage von den Eltern erworben (angeborene Nichtanlage).
Darüber hinaus gibt es die sogenannte erworbene Nichtanlage. Hier entwickelt sich der Zahnkeim für den bleibenden Zahn nur teilweise. Durch eine Entzündung oder einen Unfall kann dieser Zahnkeim aber so stark geschädigt werden, dass sich daraus kein Zahn entwickelt. Ist die Behandlung aus medizinischer Sicht notwendig, erfolgt die Versorgung per kieferorthopädischem Lückenschluss. Im Bereich der Backenzähne werden hier die bestehenden Zähne zusammengezogen, um die Lücke zu schließen.
Schon gewusst?
Von der Nichtanlage sind die Weisheitszähne am häufigsten betroffen. Das ist für uns moderne Menschen sogar ein Vorteil. Immerhin können die erst spät durchbrechenden Zähne keine Probleme durch schiefes Herauswachsen oder die Beschädigung benachbarter Zahnwurzeln verursachen.
Während die Gene auf der einen Seite für das Fehlen von einzelnen Zähnen sorgen können, können im Erbgut auch zu viele Zähne angelegt sein. Bei der Hyperdontie sind einer oder mehrere Zähne gleich mehrfach angelegt. Besonders häufig tritt das Phänomen als sogenannter Zapfenzahn auf. Dabei handelt es sich um kleine und funktionsuntüchtige Schneidezähne. Da die überzähligen Zähne die anderen Zähne im Kiefer in ihrer Entwicklung und Funktion behindern, werden sie meist entfernt.
8. Retinierte Zähne
Unter einem retinierten Zahn versteht man einen Zahn, dessen Keim schief im Kiefer liegt oder er selbst schief hinauswächst. Häufig wachsen retinierte Zähne nur teilweise oder gar nicht aus dem Kiefer heraus, da sie keinen Platz zum Herauswachsen haben. Betroffen sind neben den oberen Eckzähnen und den zweiten kleinen Molaren oftmals auch die Backenzähne.
Retinierte Zähne stehen nicht vollständig in einer Reihe mit den benachbarten Zähnen. Das kann beim Kauen und Abbeißen zum Problem werden. In der Regel werden Eck- und Backenzähne in ihrer Stellung korrigiert, sofern dies medizinisch notwendig ist. Sind Weisheitszähne stark retiniert, werden sie entfernt. Bereiten die Zähne durch ihre leichte Verlagerung keine Probleme, muss die Fehlstellung nichts zwangsweise behandelt werden.
9. Offener Biss
Der offene Biss ist eine sehr problematische Zahnfehlstellung. Versuchen Betroffene die Zähne aufeinanderzubeißen, bleibt bei geschlossenen Zahnreihen eine Lücke zwischen den Schneidezähnen des Ober- und Unterkiefers. In manchen Fällen besteht der Abstand auch noch zwischen Eckzähnen oder den vorderen Backenzähnen. Ursächlich für den offenen Biss ist eine Störung des Kieferwachstums.
Zahnmediziner unterscheiden zwischen habituell offenen und einem skelettal offenen Biss. Der skelettal offene Biss entsteht durch eine erblich bedingte Störung des Kieferwachstums. Im Gegensatz dazu steht der habituell offene Biss, der das Ergebnis des Verhaltens vor allem während des Wachstums ist. Die beiden häufigsten Auslöser sind Daumenlutschen und der zu lange Gebrauch eines Schnullers. Der offene Biss bringt zahlreiche Probleme mit sich. So ist das Abbeißen fester Nahrungsbestandteile schwierig.
Zudem kann es zur Entwicklung von Sprachstörungen und Atemwegsproblemen durch Mundatmung kommen. Da die oberen Schneidezähne nicht optimal von Speichel umspült werden, steigt zudem das Risiko für Parodontose und Karies. Damit aber noch nicht genug. Dadurch, dass die Zunge bei geschlossenem Mund nicht am Gaumen anliegt, kann der Wachstumsreiz für den Oberkiefer im Kindesalter geringer ausfallen. Das führt im Nachhinein zu weiteren Zahnfehlstellungen wie dem Engstand, da der Kiefer für die angelegten Zähne zu klein ist.
Abhängig von der Ausprägung des offenen Bisses kommen verschiedene Behandlungsmethoden zur Anwendung. Angefangen von der festen Zahnspange über eine Mundhofvorplatte bis hin zu speziellen Gesichtsmasken gibt es mehrere Optionen. Grundsätzlich sollte der offene Biss möglichst im Kindesalter behandelt werden.